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Chancen einer multi-ethnischen Gesellschaft
aus der Sicht einer Ethologen
(Prof. Dr. Irenäus Eibl-Eibesfeldt)
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Die Debatte über die multirassische Gesellschaft hat auch wissenschaftliche
Auseinandersetzungen hervorgerufen. Wir bringen dazu nachfolgend den Standpunkt
von Irenäus Eibl-Eibesfeldt, eines Mitarbei-
ters von Konrad Lorenz, selbst Verhaltensforscher von Weltruf und Autor eines kürzlich erschienenen Buches (Wider die Mißtrauensgesellschaft − Streitschrift für eine bessere Zukunft, Piper, München–Zürich, 1994), dessen Lektüre wir wärmstens empfehlen möchten. Irenäus Eibl-Eibesfeldt wurde 1928 in Wien geboren. Als Schüler der Professoren K. Lorenz und W. von Marinelli studierte er Biologie und war von 1946 bis 1949 Mitarbeiter an der Biologischen Station Wilhelminenberg bei Wien. Ab 1949 war er Mit- arbeiter des ›Instituts für vergleichende Verhaltensforschung‹, und als ›Max-Planck-Institut für Verhal- tensphysiologie‹ neu gegründet wurde. Die ersten 20 Jahre seiner wissenschaftlichen Tätigkeit widmete Eibl-Eibesfeldt als Tierethologe der experimentellen Erforschung der Verhaltensentwicklung und der Kommunikationsforschung. Viele Forschungsreisen folgten. Seit 1963 unterrichtet er an der Universität München. 1970 wurde er mit der Leitung einer Arbeitsgruppe der ›Max-Planck-Gesellschaft‹ betraut, welche die von ihm begründete Humanethologie fördert. 1975 wurde diese Arbeitsgruppe zur selbständi- gen Forschungsstelle für Humanethologie am ›Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie‹ in Seewiesen erhoben. 1988 übersiedelte die Forschungsstelle in ein eigenes Gebäude nach Andechs.
Die Befürworter der multikulturellen Gesellschaft gehen bei ihren Überlegungen mehr oder weniger davon aus, daß Erscheinungen wie Überfremdungsfurcht und Fremden-
ablehnung durch Erziehung bedingt seien. Würde man Kinder im Sinne eines Inter- nationalismus erziehen, dann stünde einer friedlichen multikulturellen Gesellschaft nichts entgegen. Ist diese Annahme begründet? Ist nach dem heutigen Stand unseres Wissens über Evolutionsgeschehen und über unser Verhalten zu erwarten, daß eine multikulturelle Gesellschaft der skizzierten Art zur Harmonisierung zwischenmen- schlichen Zusammenlebens beiträgt? Und wenn nicht, welche Alternativen bieten sich an?
Alle Lebewesen, die heute existieren, sind Nachkommen von Vorfahren, die durch
ihr Handeln ebenso wie ihre körperliche und physiologische Ausstattung das Über-
leben und die Verbreitung ihrer Gene förderten. Jene Varianten, die es nicht schafften, gehören nicht zu ihrer Ahnenreihe. Sie starben aus. Was immer Organis- men unternehmen, wird an der Fähigkeit, das Erbe weiterzugeben ― man spricht von Eignung – gemessen. Organismen sind dabei keineswegs nur passive Objekte der Selektion. Sie sind, wie Karl Popper es ausdrückte, Sucher nach einer besseren Welt. Leben ist von Grund auf explorativ ausgelegt. Organismen fördern ihr Überleben in erster Linie, indem sie eigene Nachkommen produzieren, aber auch indem sie Verwandte fördern, in denen ja die ein Individuum charakterisierenden Gene zu einem gewissen Prozentsatz enthalten sind.
Im Bemühen ums Überleben konkurrieren Organismen um begrenzte Ressourcen, wobei Mitglieder der
eigenen Art wegen der gleichen Ansprüche besonders scharfe Konkurrenten sind. Um Ressourcen zu besetzen, sichern
viele Landsäugetiere Terri-
torien, die sie einzeln oder als Gruppe abgrenzen und verteidigen. Gesellige Säuger sind mit den Mitgliedern der Gruppe verbunden. Sowohl für das Wetteifern als auch für kooperativ-freundliche Interaktionen sind die höheren Säugetiere mit ihnen angeborenen Verhaltensprogrammen ausgestattet.
Kulturenvergleichende Untersuchungen haben gezeigt, daß auch wir Menschen mit uns angeborenen, unser Verhalten mitbestimmenden
Anpassungen im Wahrnehmungs-
bereich, der Motorik, dem Antriebsbereich und Lernbereich ausgerüstet sind. Ange- boren heißt in diesem Zusammenhang, daß die diesen Verhaltensleistungen zugrunde liegenden Neuronenpopulationen sich in einem Wachstumsprozeß untereinander und mit den Sinnesorganen, der Muskulatur und anderen Endorganen zu funktionsfähigen Organsystemen zusammenschalten, und zwar auf Grund der im Erbgut festgelegten Entwicklungsanweisungen. Wie sich ein Nervensystem so selbst verdrahtet, ist heute bereits bis in die neuronale Ebene prinzipiell erforscht.
Insbesondere unser soziales Verhalten wird in einem größeren Umfange von stam-
mesgeschichtlichen Anpassungen mitbestimmt, mehr als man es bisher wahrhaben wollte. So zeigen bereits Säuglinge affiliativ-freundliche und agonal abweisende Reaktionen auf den Mitmenschen. Ab dem sechsten Monat kann man beobachten, daß Säuglinge Fremden gegenüber eine Mischung von Reaktionen der Zuwendung und sichtlich angstmotivierter Abkehr zeigen. Im typischen Fall reagiert der Säugling auf Blickkontakt mit Fremden mit Lächeln, dann birgt er sich scheu an der Mutter, nimmt wieder freundlichen Blickkontakt auf, und pendelt so in deutlicher Ambivalenz zwischen den beiden Reaktionsmustern hin und her. Oft überlagern sie einander. Kommt der Fremde trotz dieser leichten Anzeichen von Furcht näher, dann schlägt das Verhalten in Angst um. Das Kind birgt sich an der Mutter, protestiert und wehrt sich auch aktiv gegen engeren Kontakt mit dem ihm Unbekannten. Bleibt der auf Distanz, dann wird über Bekanntheit die Angst abgebaut.
Diese Fremdenscheu konnten wir in allen von uns daraufhin untersuchten Kulturen
nachweisen. Sie basiert nachweislich nicht auf schlechten Erfahrungen mit
Fremden. Auch Säuglinge, denen nichts Böses von Fremden wiederfuhr, zeigen Fremdenscheu. Die Angst des Menschen vor dem
Mitmenschen ist eine anthropologische Konstante.
In aller Welt reagieren Kleinkinder nach der Hypothese : „Fremde sind potentiell gefährlich.“ Das hat sich offenbar stammesgeschichtlich bewahrt. Das Kleinkind handelt nach diesem Muster angepaßt, unter anderem, weil dadurch die Bindung an die Mutter gegen Störungen von außen abgesichert wird. Für das Kind ist diese Absi- cherung überlebenswichtig, da es über viele Jahre der Betreuung bedarf.
Die angstauslösende Wirkung bestimmter Merkmale des Mitmenschen wird durch persönliche Bekanntschaft stark abgeschwächt bis annuliert, so daß zwischen Menschen, die einander gut kennen und insbesondere zwischen der Mutter
und ihrem Kind, die freundlich-affiliativen Verhaltenstendenzen überwiegen. Mit dem Grad der Bekanntheit wird das Verhalten auf einer gleitenden
Skala in Richtung auf Vertrauen verschoben.
Die Angst des Menschen vor dem Mitmenschen führte dazu, daß wir Menschen über die längste Zeit der Geschichte in relativ geschlossenen Kleinverbänden lebten, in denen jeder jeden kannte und damit eine Beziehung der
Vertrautheit herrschte. Fremden stand man mit einem gewissen Mißtrauen gegenüber.
Hier liegt eine Wurzel zu dem In- und Outgruppenverhalten. Den Vertrauten be-
gegnet man freundlich-aggressionsgehemmt. Fremden gegenüber überwiegt zunächst das Mißtrauen, und hat man ihn durch Indoktrination zum Feind erklärt, dann werden sogar häufig die uns angeborenen Tötungshemmungen ausgeschaltet. Menschen grenzten sich in Gruppen von anderen oft kontrastbetonend ab.Gruppenzugehörigkeit wurde durch Kleidung, Brauchtum und andere kulturelle Marker betont. Kultur wurde damit zum Schrittmacher der Evolution, indem sie über Abgrenzung neue Wege der Entwicklung einleitete. Erik Erikson sprach deshalb sehr treffend von „kultureller Pseudospeziation“. Sie bereitet der biologischen Subspeziation den Weg. Wir verdan- ken diesem Prozeß die Vielfalt der Kulturen und Rassen, aber auch, wie es Christian Vogel ausdrückte, die ‚Doppelte Moral‘ des Ethnozentrismus und Nepotismus, die gebietet, man möge sich Verwandten gegenüber anders als Fremden gegenüber verhalten. Können wir sie überwinden?
Ich bin überzeugt, daß wir neue Wege zwischen-ethnischen Zusammenlebens finden können. Die multiethnische Gesellschaft scheint mir allerdings nicht der geeignete
Weg dazu. Eine friedliche Koexistenz territorial in ihren Heimatgebieten
verwurzelter Völker halte ich durchaus auf Dauer für möglich, wenn zwischenstaatliche Kontrakte Ressourcenverteilung und territoriale
Integrität für jedes der Völker sichern. Die Nationalstaaten Europas sind auf dem besten Weg, eine solche
Pazifizierung zu erreichen. Entfällt die Angst vor der Dominanz durch eine andere Ethnie, dann gewinnen unsere
kooperativen Anlagen Oberhand, und man begegnet dem anderen mit freundlicher
Zugewandtheit, wobei dessen Anderssein als anregend, interessant und
liebenswert, und nicht mehr als für die eigene Identität bedrohlich, wahrgenom-
men wird. Allerdings stehen einige unserer Nationalstaaten noch vor dem Problem, das Zusammenleben mit autochthonen Minoritäten zu lösen. Basken und Südtiroler sind solche Minoritäten. Ihnen müßte, um eine dauernde Befriedung zu bewirken, volle Autonomie zugestanden werden, denn Fremdherrschaft wird von keinem Volk auf die Dauer akzeptiert. Die Entwicklungen in der ehemaligen Sowjetunion führen uns das gegenwärtig vor Augen.
Selbst wenn demokratische Wahlen möglich sind, kann eine Minorität nie eine andersvölkische Majorität abwählen. Hier zementiert also selbst die traditionelle demokratische Mehrheitswahl
Fremdherrschaft. Eine föderative Regierung, etwa
nach dem Vorbild der Schweiz, könnte das Problem entschärfen. Jeder muß Herr in seinem eigenen Hause sein und unter Rücksichtnahme auf die Nachbarn sein eigenes Land nach eigenem Gutdünken bewirtschaften können.
Vor völlig anderen Problemen steht eine autochthone Bevölkerung beim Zuzug von Immigranten. Handelt es sich um den Zuzug genetisch und
kulturell nah Verwandter, dann pflegen sich Immigranten schnell zu integrieren,
das heißt sie übernehmen Sprache und Kultur des Volkes, das sie aufnahm. Das lehrt die
Geschichte der euro-
päischen Binnenwanderungen. Polen und Hugenotten wurden in Deutschland sehr schnell zu Deutschen. Kommen die Einwanderer dagegen aus einem anderen Kultur- raum und weichen sie darüber hinaus auch in ihrer biologisch-anthropologischen Zusammensetzung von der Bevölkerung des Einwanderungslandes ab, dann grenzen sich mit großer Wahrscheinlichkeit Wirtsvolk und Gastvolk voneinander ab, so wie das zwischen Franzosen und den nordafrikanischen Moslems beobachtet werden kann. Bei unterschiedlichen Vermehrungsraten kann es ferner zu einem raschen Anwachsen des Gastvolkes kommen, was einen genetischen Verdrängungsprozeß einleiten kann. Daß derartiges nicht nur theoretisch möglich ist, sondern wiederholt eintrat, zeigt etwa die sich abzeichnende Verdrängung der Eingeborenenbevölkerung Fidschis durch die eingewanderten Inder. |
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