banner_adler_standard.jpg

 
Über Dr. Clemens‘  ›Christentum und Nation‹
(Dr.Carlos Dufour)
»Don’t fancy that you have somehow softened
 the saying of a thing by having just promised
not to say it« 
 (G. K. Chesterton)

Vor einer Woche veröffentlichte Dr. Clemens in Deutschlands Echo einen knappen, geballten Aufsatz über ein schwerwiegendes Thema, den man hier lesen kann:


Clemens präsentiert seine Schrift bewußt als Skizze und Ausgangspunkt zum „eigenen Nachdenken“. Dieser Herausforderung komme ich hier gerne nach. Dabei bitte ich den Leser zu berücksichtigen, daß die acht Absätze seines Textes so viele Stichwörter enthalten und Behauptungen so komprimiert aufstellen, daß eine Analyse auf vieles verzichten muß. Wie sich zeigen wird, sind Clemens‘ Thesen vorwiegend verworren, sinnlos oder schlicht falsch − sie können uns aber helfen, manche Grundgedanken klarzustellen.

Christentum: Mythologie, Lehre, Institution

Zuerst sollte  bestimmt werden, worüber wir hier sprechen. Christentum, so wie es geschichtlich von Anbeginn erscheint, ist eine Totalität mit mindestens drei wesentlichen Bestandteilen: eine  Mythologie,  eine Lehre und eine Institution. Die Mythologie ist zu beherzigen, die Lehre zu akzeptieren und der Institution zu gehorchen.

Ein Teil heißt hier wesentlich, wenn das Ganze ohne ihn nicht wirken kann. Wesentliche Teile greifen inaneinander wie Zahnräder. Ohne Kirche kann man nicht wissen, welche Texte als Offenbarung gelten; ohne eine Lehre, bleibt zu dunkel, was diese Texte besagen; ohne Mythologie gibt es keine heilige Lehre. Im Laufe der Zeit entstehen Veränderungen und Anpassungen, aber ein Kern dieser Bestandteile bleibt immer.

So kann ein „Ostergefühl“ wohl religiöse Bedeutung für eine Person haben, aber dies allein ist nicht Christentum. Und da die drei Bestandteile objektiv existieren, können christliche Religionen nicht als reine Privatsache abgetan werden, auch wenn die Einstellungen zum Christentum − wie alle Einstellungen − nur privat zugänglich sind.

Freilich kann es passieren, daß  uns diese christliche Totalität zu absurd, zu inkongruent, zu abscheulich vorkommt. Eine Einleitung zu diesen Ergebnissen steht hier: http://www.thule-seminar.org/dufour_aufhebung.htm . Das zunehmende Wissen seit der Aufklärung ist auch eine Tatsache: Nationalisten, die zugleich modern sein und Christen bleiben wollen, stehen da vor einem Dilemma. Nietzsche rief aus:

“Unsere Zeit ist wissend … Was ehemals bloß krank war, heute ward es unanständig − es ist unanständig, heute Christ zu sein. Und hier beginnt mein Ekel“ (AC, § 38)

Wie auch immer, wird der christliche Publizist seine Religion selten als Totalität darstellen, etwa im Stile des  Tridentinischen Konzils. Daher bietet er seine Angelegenheit zuerst häppchenweise, in homöopathischen Dosen. Leider verhält es sich wie mit einem Ex-Alkoholiker, der sich zu besonderen Gelegenheiten einen kleinen Schluck gönnt. Wesentliche Teile einer Religion haben die Tendenz, sich zu vervollständigen, auch wenn man mit einem winzigen Stück anfängt. Gibst du dem Christentum den kleinen Finger, will es gleich die ganze Hand haben.

Ein geladener Anfang

Im ersten Absatz von Clemens kommen vier gewichtige Behauptungen dahergaloppiert:

„Letzte Überzeugungen zu diesem Komplex können nicht als Wissen vermittelt werden. Entweder man glaubt an die Auferstehung Jesu Christi oder nicht. Der deutsche Staat, das bestehende Europa und die gesamte abendländische Kultur sind auf dem christlichen Glauben aufgebaut. Wer ihn in Frage stellt, stellt damit Deutschland in seiner seit 2000 Jahren gewachsenen Tradition in Frage.“

Es geht hier nicht darum, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern um zu wissen oder nicht zu wissen. Was einer ohne Grund behauptet, darf der andere ohne Grund verwerfen. Was gilt uns eine Überzeugung, die man weder direkt noch indirekt begründen kann? Und warum sollte jemand eine solche mentale Episode überhaupt vermitteln wollen?

Entweder glaubt man an die Auferstehung oder nicht – richtig, dies ist ein theologischer Sonderfall des Gesetzes des Tertium non Datur: A oder Nicht-A. Logisch wahr, dafür inhaltsleer. Ich weiß nichts über das Wetter, wenn ich nur weiß, daß es regnet oder nicht.
Jedoch hat das meteorologische Tertium non Datur einen Vorzug vor dem theologischen: Die Komponenten des Oder-Satzes, wie „es regnet“, haben selbst einen einleuchtenden Sinn. Aber was meint Clemens mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu? Ehrlich gesagt: Ich kann nicht herausfinden, was er glaubt − aus mehreren Gründen. Die erste christliche Generation faßte die Auferstehung rein symbolisch auf.  So kommt bei Paulus das Urbild der Auferstehung nicht im materiellen Sinn vor. Es setzt für den auferstanden Körper die Phrase sô:ma pneumatikón – und Luther, gründlich und redlich, übersetzt es als „geistiger Leib“. Geistiger Leib? Seine Nachfolger haben verspürt, daß Luthers Verdeutschung wie „hölzernes Eisen“ klingt und kräftig umgestaltet. Erst nach Paulus kam der Druck, das Ereignis wörtlich auszulegen.

Wie gesagt, hat jedes Teilchen eines religiösen Glaubens die Neigung, sich zu vervollständigen; ein Glauben impliziert auch andere Glaubensinhalte, ob willkommen oder nicht. Wenn Jesus auferstanden ist, muß er auch wirklich geboren und wirklich gestorben sein. Erst recht muß er sich jetzt im Raum befinden.  Wo? Da er abwesend ist und keinen Besuch empfängt, muß man seinen Aufenthalt möglichst entlegen plazieren, daher kommt die Himmelfahrt als unausweichliche Folge – auch wenn nur einer von den vier Evangelisten, Lukas, dies berichtet. Ist Jesus im Himmel im astronomischen Sinn, so daß ein Satellit ihn im Prinzip photographieren könnte? Die Sache wird peinlich. Aber: wenn das nur symbolisch gälte, sollte auch die Auferstehung bloß symbolisch sein.

Und warum ist die Auferstehung so bedeutend? Weil die christliche Lehre eine Erlösungslehre ist. Jesus starb für unsere Sünden. Ja, jeder Jurist würde protestieren und hier eine Vermengung von Straf- und Zivilrecht beanstanden: wenn Breivik schuldig ist, wird er nicht unschuldig gemacht, falls jemand die Strafe auf sich nimmt. Wenn der Mensch wirklich schuldig ist, kann ein Opfertod ihn nicht von Schuld befreien. Oder war es wieder nur allegorisch gedacht? Da muß eilends eine Theologie her, oder ein Denkverbot seitens einer Institution. Hier wiederum Mythos, Lehre, Institution: Also hat das Christentum die besagten Bestandteile. Wenn Clemens dies bagatellisiert, spielt er mit falschen Karten. Rechtschaffene machen nicht mit. Wer im Denken extrem ernst ist, kann auf seriöse Radikalität pfeifen.

Europa: Aufbau auf dem Christentum

Die christlichen Apologeten behaupten gern, daß das Christentum Europa geprägt hat, aber es fällt zuerst schwer aus einem Fakt eine normative Kraft herauszupressen. Ein Kinderschänder kann die Biographie des Opfers stark prägen − darf aber nicht erwarten, daß das Kind ihn später ehrt. Die Nachkriegsordnung baute vielleicht auf der Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa auf − aber das allein reicht nicht aus, um sie zu legitimieren.
Sind andererseits deutscher Staat und europäische Kultur wirklich auf dem christlichen Glauben aufgebaut? Die Realität des Aufbaus steht da auf wackeligen Füßen. Der junge Hegel schrieb:

„Das Christentum hat Walhalla entvölkert, die heiligen Haine umgehauen, und die Phantasie des Volks als schändlichen Aberglauben, als ein teuflisches Gift ausgerottet. Und uns dafür die Phantasie eines Volks gegeben, dessen Klima, dessen Gesetzgebung, dessen Kultur, dessen Interesse uns fremd, dessen Geschichte mit uns in ganz und gar keiner Verbindung ist“.

Sieht so ein Aufbau aus? Das Rom der Antike, als Sklavenstaat, war rettungslos überfremdet. Das Christentum ist jene entwurzelte Religion, die das Völkerchaos zur Voraussetzung hatte und selbst auf anderen religiösen Vorstellungen (Isiskult, Trimurti, Mithrasverehrung) aufbaute. Es blühte in vergangenen, wirren Zeiten – Zeiten, wie Goethe sagt, der „aristokratischen Anarchie“. Kaum sind die Nationen entstanden und die Staaten gebildet, wurde das Christentum gebändigt und neutralisiert: Kein Staat kann seine Legitimität außer sich in andere Institutionen setzen.

Auch wenn die „Aufbauidee“ stimmen sollte, ergab sich in Europa eine eigene, urwüchsige und entgegengesetzte Bewegung: der Abbau des Christentums als Totalität. Diese entgegengesetzte Bewegung bekämpfte die Lehre mit Scharen von Ketzern, mit der Renaissance und den wissenschaftlichen Entdeckungen; sie erschütterte die Institutionen mit der Spannung der Welfen und Ghibellinen, der Reformation, dem Anglikanismus und den Religionskriegen; zuletzt beseitigten Philosophie und  Philologie jede Glaubwürdigkeit der christlichen Mythologie. Fast alle großen Denker Europas fanden ihren Ehrenplatz auf dem Index. Sie handelten in geistiger Notwehr.

Warum aber hält man so hartnäckig am Aufbau fest? Von Kindheit an wird das Individuum im Christentum erzogen. Persönliche Gedanken über Religion bauen auf dieser Indoktrination auf. Nun denken Erwachsene an ihre Kindheit wie an ein verlorenes Paradies, und da indoktrinierte Menschen mit Gleichgesinnten Kontakt pflegen, wird allmählich aus dem subjektiven Eindruck eine allgemeine Überzeugung, die man schließlich auf Europa projiziert. Und man bleibt bei liebgewonnenen Überzeugungen. Kaum ein Mensch wird sie revidieren, nur weil ihm ernsthafte Einwände gemacht werden. Man sperrt die Ohren zu und bleibt bei seiner Prägung. Da es aber auch ungewöhnliche Menschen gibt, kann sich das Nachdenken lohnen.
wotan1.tif
balken_breit_1bis.tif
1    2